Analoge und digitale Überlieferung der Obersten Gerichte des Bundes

Analoge und digitale Überlieferung der Obersten Gerichte des Bundes

Organisatoren
Bundesarchiv
Ort
Koblenz
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
24.04.2023 - 26.04.2023
Von
Gernot Losansky, Bundesarchiv Koblenz

Die Akten der Obersten Gerichte des Bundes bilden im Bundesarchiv eine Kernüberlieferung für die Erforschung und das Verständnis der deutschen Justizgeschichte. Ihre archivische Bearbeitung ist schon angesichts des enormen Umfangs herausfordernd. Kriterien für die Bewertung und Erschließung sind im Hinblick auf Forschungsinteresse und sich verändernde Recherchemöglichkeiten stetig zu evaluieren und weiterzuentwickeln. Daneben erfordert die fortschreitende digitale Transformation in der Justizverwaltung des Bundes und der Länder zugleich die Entwicklung von Strategien und Konzepten für die Überlieferung der digitalen Unterlagen.

Das Symposium zeigte aktuelle Entwicklungen und Ergebnisse der archivischen und wissenschaftlichen Arbeit mit den Unterlagen der obersten Bundesgerichte und des Bundesverfassungsgerichts auf und verlieh dem Austausch zwischen den teilnehmenden Akteuren gewinnbringende und zielgerichtete neue Impulse. Im Zentrum standen insbesondere der derzeitige Stand der Überlieferungsbildung, Fragen des Zuganges zu den Unterlagen sowie der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs mit seinen Auswirkungen für die Archivierung. Hinzu kamen aktuelle Praxisberichte zu laufenden Forschungsprojekten. Dazu traf sich ein breit gefächertes Teilnehmerspektrum sowohl aus Forschung und Wissenschaft, den Gerichten als auch der archivischen Fachwelt.

In den teils kontrovers geführten Diskussionen rückten dabei die unterschiedlichen Positionen und Interessen von Gerichten, Forschung und Archiven im Hinblick auf die Überlieferung der Unterlagen in den Fokus. Besonders lebhaft erörtert wurde insbesondere das Spannungsverhältnis von Forschungsinteresse einerseits und richterlichem Beratungsgeheimnis andererseits.

Den Abendvortrag im Rahmen der öffentlichen Eröffnungsveranstaltung hielt JAN THIESSEN (Berlin), Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Juristische Zeitgeschichte und Wirtschaftsrechtsgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sein Vortrag zu den Obersten Bundesgerichten als Gegenstand von Wissenschaft und Forschung verknüpfte die Aufgaben der Obersten Bundesgerichte auf dem Gebiet der Rechtsprechung mit der Frage, welchen Wert die Überlieferung im Bundesarchiv für das wachsende Interesse der rechtshistorischen Forschung und die Medien besitzt.

Hierbei stellte Thiessen unter anderem die besondere Mittlerrolle der Archive als „Nachlassverwalter“ sowie „ehrliche Makler“ zwischen den divergenten Interessen von Forschung, Justiz und Archiven heraus. Die Archive verfolgen dabei zugleich das Ziel, die ihnen anvertrauten Unterlagen nach Maßgabe der gesetzlichen Vorgaben möglichst umfassend auch der interessierten Öffentlichkeit und Forschung nutzbar und zugänglich zu machen. Dieses Ziel unterstützte Thiessen in seiner Forderung nach einer umfänglichen Einsichtnahme in die richterlichen Entscheidungsprozesse, wozu explizit auch die Abgabe beispielweise der richterlichen Voten an die Archive erforderlich ist. Mit Blick auf das damit tangierte richterliche Beratungsgeheimnis setzte er auf diese Weise bereits zur Eröffnung ein Thema, das den weiteren Verlauf des Symposiums in Bezug auf die Zugänglichkeit und Benutzbarkeit der Unterlagen der Obersten Bundesgerichte und des Bundesverfassungsgerichts maßgeblich prägen sollte.

Die Vorträge des zweiten Tages zur analogen Überlieferungsbildung widmeten sich der Thematik zunächst aus der Sichtweise der Archive und machten anhand der Betrachtung der Überlieferungsbildung zu den Gerichten in Bund und Ländern die durchaus unterschiedlichen methodischen und inhaltlichen Herangehensweisen deutlich. Ein zentraler Schwerpunkt kam dem Umgang mit den Akten des Bundesverfassungsgerichts im Spannungsfeld von Archiv, Justiz und Wissenschaft zu. Die Berichte über aktuelle Erkenntnisse aus den laufenden Forschungsprojekten zum Bundesgerichtshof und dem Bundesverwaltungsgericht weiteten den Blick auf die Wissenschafts- und Forscherperspektive.

Anhand einer Diskussionsrunde mit Teilnehmenden aus Gerichten, rechtshistorischer Forschung und der archivischen Fachwelt rückte schließlich explizit die Perspektive der Nutzerinnen und Nutzer in den Fokus der Veranstaltung.

Themen der digitalen Überlieferung bildeten den Hauptgegenstand des dritten Tages. Neben Fragen der Aussonderung digitaler Unterlagen durch die Bundesgerichte standen vor allem der aktuelle Stand und die perspektivischen Herausforderungen für die Archive und Justiz angesichts der zügig weiter voranschreitenden digitalen Transformation in den Justizverwaltungen des Bundes und der Länder im Zentrum. Im Fokus stand dabei der Aktenaustausch und die Aussonderung digitaler Unterlagen mit dem Standard XJustiz. Am Beispiel des Datenaustausches und der Zwischenarchivierung wurde darüber hinaus auch die Zusammenarbeit von Bundesverwaltung, Gerichten und Archiven exemplarisch vorgestellt.

Nähere Informationen über die konkreten Inhalte der einzelnen Fachvorträge können bei Interesse dem Bericht von Thomas Henne auf dem Archivwissenschaftlichen Blog der Archivschule Marburg entnommen werden.1

Die Vorträge des Symposiums sollen in Kürze im Audio-Format, ergänzt um die Textversionen und Präsentationen, auf der Website des Bundesarchivs (https://www.bundesarchiv.de) der interessierten Öffentlichkeit online zur Verfügung gestellt werden.

Konferenzübersicht:

Tag 1: Begrüßung und Eröffnung des Symposiums

Michael Hollmann (Koblenz)

Eröffnungsvortrag

Jan Thiessen (Berlin): Justiz im Archiv. Die Überlieferung der Obersten Bundesgerichte zwischen Recht und Geschichte

Tag 2: Analoge Überlieferungsbildung

Bettina Martin-Weber (Koblenz): Begrüßung und Moderation

Block 1: Überlieferungsbildung zu den Gerichten in Bund und Ländern

Claudia Zenker-Oertel (Koblenz): „Interessant ist kein Kriterium.“ Die Überlieferungsbildung für die Obersten Bundesgerichte im Bundesarchiv

Daniel Heimes (Koblenz): Die Überlieferungsbildung der Justiz in den Ländern am Beispiel des Landeshauptarchivs Koblenz

Block 2: Überlieferung der Akten des Bundesverfassungsgerichts

Regina Pawelletz (Koblenz) / Gernot Losansky (Koblenz): „Außerhalb der Linie“ – Das Bewertungs- und Erschließungsprojekt zum Bundesverfassungsgericht im Bundesarchiv

Thomas Darnstädt (Hamburg): Ein Blick in die Blackbox. Was sagen uns die alten Handakten der Verfassungsrichter?

Block 3: Forschungsprojekte zum Bundesgerichtshof und Bundesverwaltungsgericht

Michael Kißener (Mainz): Auf dem Weg zu „nüchterner Redlichkeit“. Die Geschichte des Bundesgerichtshofes 1950-1965

Klaus Rennert (Leipzig) / Maria Kögel (Leipzig): Das Geschichtsprojekt des Bundesverwaltungsgerichts – Konzeption, Organisation, Realisation

Block 4: Diskussionsrunde zur Perspektive der Nutzerinnen und Nutzer
Impulsvortrag und Moderation: Annette Mertens (Koblenz): Überlieferung der Obersten Bundesgerichte im Bundesarchiv – Fragen und Bedürfnisse von Nutzerinnen und Nutzern

Eva Balz (München / Sofia) / John Philipp Thurn (Berlin) / Helge Jonas Pösche (Berlin) / Andreas Roth (Mainz) / Thekla Kleindienst (Koblenz)

Schlusswort zu Tag 2

Bettina Martin-Weber (Koblenz)

Tag 3: Digitale Überlieferungsbildung

Andrea Hänger (Koblenz): Begrüßung und Moderation

Block 1: Digitale Überlieferung der Bundesgerichte: Perspektiven

Lutz Bannert (Koblenz): E-Akten, Fachverfahren, Dateiablagen. Wie sondern Bundesgerichte künftig ihre Unterlagen aus?

Henning Müller (Darmstadt): Der Beweiswert (elektronischer) Behördenakten – von Urkunden über PDF-Dateien bis zu xJustiz-Akten

Bastian Gillner (Duisburg): Der Austauschstandard XJustiz als Element einer Archivierungsstrategie für E-Akten der Justiz

Block 2: Datenaustausch und Zwischenarchivierung. Berichte aus der Zusammenarbeit von Bundesverwaltung, Gerichten und Archiven

Jens Winter (Bonn): Datenschutz im FMS und der E-Akte am Beispiel der externen Meldestelle

Nils Trossen (München) / Ines Müller (Berlin): Anbindung eines Obersten Bundesgerichts an das digitale Zwischenarchiv des Bundes

Schlusswort zum Symposium

Andrea Hänger (Koblenz)

Anmerkung:
1 Siehe auch Thomas Henne, Tagungsbericht: Symposium des Bundesarchivs zur analogen und digitalen Überlieferung der Obersten Gerichte des Bundes – 24.-26. April 2023 in Koblenz, https://archivwelt.hypotheses.org/3562 (7.7.2023).

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